Was für eine Meldung vor ein paar Tagen: Erstmals werden mehr junge Menschen in Deutschland ein Studium beginnen als eine Lehre. Die Hochschullen quellen über, das Handwerk sucht Auszubildende. Muss man sich darüber wundern? Kaum. Jahrelang haben unsere Politiker Werbung für Abitur und Studium gemacht, haben überlegt, die Zugangsschwellen zu senken, damit möglichst viele einen höheren Schulabschluss erreichen können. Bildung sollte das höchste Gut sein, unsere wichtigste Ressource. Und nun stellt sich heraus, dass tatsächlich Viele dem Lockruf gefolgt sind, dass Viele studieren und trotz (erhofften) hohen Einkommens auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein wollen. Und weniger wollen einen traditionellen, vielleicht sogar handwerklichen Beruf erlernen und plötzlich ist das Geschrei groß. Sicher wird ein Teil der neuen Studenten das Studium abbrechen und sich einen anderen Beruf suchen. Schwere Arbeit und schlechte Bezahlung sind gute Gründe, wenn man in der Finanzwelt doch scheinbar so leicht viel Geld verdienen kann. Doch was, wenn keiner mehr Friseur, Klempner, Dachdecker oder Mechaniker werden will? Wer backt uns die Brötchen, macht die Schnitzel, baut neue Häuser und Straßen? Wer pflegt Alte und Kranke?

Es war und ist eine Fehlentwicklung mit Ansage. Es sollten nicht mehr studieren, als Bedarf herrscht, denn sonst schlägt am Ende auch hier der freie Markt zu. Dann werden die seltenen Handwerker teuer und die zahlreichen Akademiker müssen sich unter Wert verkaufen. Das kann nicht das Ziel sein. Deutschland war stolz auf sein Prinzip der dualen Ausbildung mit Berufsschule und Lehre, das von vielen Ländern übernommen wurde. Nun sind wir auf dem Weg, dieses abzuschaffen. Ein Irrweg. Wir brauchen alle, Akademiker, Handwerker und Handel. Aber die weniger attraktiven Berufe brauchen eben auch Anerkennung und Wertschätzung. Massenabitur und Massen-Batchelors brauchen wir nicht.

Nun setzt die Industrie noch einen drauf: Sie beklagt die oft fehlende praktische Erfahrung der Hochschulabsolventen. Ja, was denn nun? Da hat die Industrie jahrelang für ein Turbo-Studium gekämpft, damit die jungen Menschen dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen (was im Übrigen nur ein Einmaleffekt war), und nun jammert sie darüber, dass deren Ausbildung unzureichend sei. So ist das eben, wenn man die Lerninhalte verringert, die Schulzeiten verkürzt und vor allem selber nicht in Ausbildung investieren will. Früher war es selbstverständlich, dass Berufsanfänger erst einmal das wahre Arbeitsleben kennenlernen mussten und viele Firmen hatten entsprechende Einführungsprogramme dafür. Heute sparen sie daran und erwarten Beruferfahrung, ohne dass die Bewerber eine Chance haben, einmal praktisch zu arbeiten. Praxissemester wurden vielfach gestrichen, um Zeit zu sparen. Früher wurden Bewerber von des Chefs der Fachabteilungen ausgewählt, heute von Personalchefs, die die Anforderungen an eine Stelle nicht verstehen.
Manchmal fragt man sich, em hier eigentlich Wissen und Erfahrung fehlt.

Sind wir auf dem Weg in eine übergebildete Gesellschaft? In gewisser Weise ja. Gute Bildung ist sinnvoll und wichtig, und zwar für alle, da besteht kein Zweifel. Aber ein Überangebot an Experten und Hochschulabsolventen nützt uns nichts. Wenn praktisch jeder Abitur machen und studieren kann, dann werden diese Ausbildungen entwertet. Weder Bedarf noch Fähigkeiten sind gleich verteilt. Deshalb dürfen wir die anderen Fähigkeiten, die ebenso vorhanden sind, genauso fördern. Das gern genannten Beispiel Finnland sollte uns nachdenklich machen: Solider haushalt, hohe Abi-Quote, bei PISA immer ganz vorne dabei. Und doch hat das Land nun mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen (aktuell über 10%). Hochschulbildung alleine schafft keinen dauerhaften Wohlstand.