Was haben Barbara Streisand und Recep Erdogan gemeinsam? Eigentlich nichts, sollte man meinen. Und doch verbindet sie etwas: Der Streisand-Effekt. So wird umgangssprachlich das Phänomen bezeichnet, dass der Versuch, unangenehme Berichte, Fotos oder Videos aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen, genau das Gegenteil bewirkt, nämlich erhöhte mediale Aufmerksamkeit.
Benannt wurde dieser Effekt nach der amerikanischen Schauspielerin Barbara Streisand. Sie wollte 2003 erreichen, dass ein Foto aus einer Sammlung zum Thema Küstenerosion, auf dem ihr Haus zu sehen ist, entfernt wird. Das Foto war bis dahin kaum bekannt und noch weniger, dass darauf u. a. ihr Haus zu sehen ist. Weil die Sache auch wegen einer Schadensersatzforderung vor Gericht ging, wurde sie erst wirklich öffentlich und das Bild verbreitete sich rasant im Internet.

Genau dies ist nun auch dem türkischen Präsidenten Erdogan passiert. In der Kabarett- und Satiresendung "extra 3" des NDR wurde sein Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit aufs Korn genommen und in einem kurzen Song persifliert. Die Sendung läuft Mittwochs spät abends auf NDR3 und einmal im Monat Donnerstags nach den Tagesthemen im Ersten und hat eine eher begrenzte Zuschauerzahl. In der Türkei dürfte sie gänzlich unbekannt sein. Erdogan hat sie wohl gesehen und störte sich an dem Beitrag über ihn so sehr, dass er den deutschen Botschafter in Ankara einbestellte und darauf drängte, dass der Beitrag aus der Mediathek gelöscht werde. Die dadurch bewirkte Aufmerksamkeit sorgte dafür, dass die Sendung in wenigen Tagen über drei Millionen Mal angeklickt und das Spottlied erst richtig bekannt wurde. Auf Youtube wurde sie inzwischen über fünf Millionen Mal angesehen. Ein klassischer Streisand-Effekt. Erdogans dümmlicher Versuch, die Meinungsfreiheit auch hierzulande einzuschränken, geriet zur PR-Aktion für "extra 3". Konsequenterweise ernannte ihn das Satire-Magazin zum Mitarbeiter des Monats.

Erdogans Vorgehen zeigt, wie anmaßend und überheblich der Möchtegern-Sultan inzwischen geworden ist. Wie wenig er von Pressefreiheit im eigenen Land hält, ist bekannt. Da werden kritische Medien einfach mal zu terroristischen Vereinigungen erklärt und schon kann man Journalisten aus dem Verkehr ziehen. Neu ist, dass er nun auch versucht, die Medien in anderen Ländern in seinem Sinne zu beeinflussen. Die EU und vor allem die Bundesregierung reagierten nur sehr zurückhaltend darauf. Sie brauchen Erdogan als Türsteher gegen die Flüchtlinge und sind damit erpressbar geworden. Diejenigen, die vor kurzem noch lautstark riefen "die Türkei gehört nicht nach Europa", müssen Ankara nun Zugeständnisse machen und eine fernere EU-Mitgliedschaft in Aussicht stellen, obwohl die türkische Regierung immer wieder deutlich macht, dass ihr die vielgepriesenen europäischen Werte völlig egal sind.
Hoffentlich merken die eifrigen Flüchtlingsverhinderer noch rechtzeitig, mit wem sie sich da eingelassen haben.