Atomkraft? Nein danke!

Ich gebe zu, auch ich war einmal von der Kernenergie und ihren Möglichkeiten begeistert. Ich war so zwischen 10 und 15 Jahre alt, als ich einen Bericht über die Fahrten des Forschungsschiffs "Otto Hahn" las. Es konnte, nur mit ein paar Kilogramm Uran an Bord, jahrelang über die Weltmeere fahren. Die Vorstellung war faszinierend. Über Radioaktivität und die Risiken von Reaktoren wussten wir damals noch nichts, das kam erst etwas später im Physikunterricht dran. Inzwischen hat sich meine Meinung zur Kernenergie grundlegend geändert. Warum?
 
Kernenergie ist doch sauber, CO2-frei, risikoarm und nahezu ewig verfügbar. Eine sichere, billige Energiequelle, die alle Probleme löst und uns unabhängig von fossilen Brennstoffen macht. So sagt zumindest die Atomlobby, vor der sich unsere Regierung gerade tief verneigt hat. Bei Tageslicht betrachtet sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Für die Gewinnung von Uran müssen gewaltigen Mengen Erdreich bewegt werden, wobei die dafür eingesetzten Maschinen eine Menge CO2 freisetzen. Zudem wird der Abbau immer aufwändiger, denn die leicht erreichbaren Vorräte werden natürlich als erste aufgebraucht.
Die nachgewiesenen Vorkommen an verwertbarem Uran reichen beim heutigen Verbrauch etwa 70 bis 100 Jahre, nimmt man die vermuteten Reserven hinzu, erhöht sich die Spanne auf 150 bis 200 Jahre. Wollte man nun noch alle anderen Kraftwerke durch Kernkraftwerke ersetzen, bräuchte man etwa fünfmal mehr davon, entsprechend würde sich die Reichweite verringern. Die steigenden Bedarfe der Schwellenländer sind darin noch gar nicht berücksichtigt. Das letzte neue AKW würde gar nicht mehr ans Netz gehen, weil es bis zu seiner Fertigstellung keinen Brennstoff mehr geben würde. Atomkraft als ewige Quelle ist ein Mythos.
Eine Lösung könnte der "Schnelle Brüter" sein, der sich seinen neuen Brennstoff selbst erzeugt. Die Reichweite könnte damit um den Faktor 60 steigen, also auf rund 2000 Jahre. Der Haken dabei: Dieser Kraftwerkstyp ist sehr viel kritischer, was seine Regelung betrifft. Die Sicherheitsanforderungen sind deutlich höher als bei konventionellen Atomkraftwerken. Zudem produziert er Plutonium. Das ist nicht nur hervorragend geeignet, um Atombomben zu bauen, es ist auch die giftigste Substanz, die wir derzeit kennen. Folglich laufen heute nur einige wenige dieser Reaktoren im kommerziellen Einsatz sowie ein paar Forschungsreaktoren. Mehrere Anlagen wurden inzwischen wegen ständiger Probleme im Betrieb stillgelegt.
 
Befürworter werden jetzt vielleicht darauf hinweisen, dass es in den Ozeanen geschätzte vier Milliarden Tonnen Uran fein gelöst gibt. Das würde die Reichweite ebenfalls auf 1000-2000 Jahre erhöhen. Das Fraunhofer-Institut hat sogar ein Patent auf die Gewinnung von Uran aus Meerwasser. Nur: ob das auch in großtechnischem Maßstab und dazu wirtschaftlich machbar ist, ist noch nicht nachgewiesen. Man müsste die Meere komplett durchsieben. Und vor allem stellt sich dann die noch immer ungelöste Frage: Wohin mit 4 Mrd. Tonnen hochradioaktivem Abfall? Wir wissen heute schon nicht wohin mit dem Zeug. Der Atommüll muss mehrere 100000 Jahre sicher gelagert werden, bis seine Strahlung auf ein ungefährliches Maß abgeklungen ist. Doch wie wir gesehen haben, können wir heute kaum einmal 20 Jahre garantieren. Die ersten Fässer in der Asse sind bereits undicht geworden. Für die wesentlich aufwändiger konstruierten Castor-Behälter in Gorleben werden zwar 40 Jahre garantiert, doch auch das ist nicht besonders lang. Und was dann? Soll man alle 40 Jahre alles wieder ausgraben und umpacken? 40000 Generationen lang? Es gibt bis heute auf der ganzen Welt keinen einzigen Ort, der für ein langfristiges Endlager als geeignet eingestuft ist.
Würde man die Kosten für die sichere Entsorgung, die wir heute aus Steuermitteln subventionieren, auf den Strompreis umlegen, wäre Atomstrom kaum noch günstiger als der aus anderen Quellen. Strom aus Kernenergie ist nicht so billig, wie immer dargestellt wird. Sonst würden die Betreiber nicht so laut jammern, weil sie für die längeren Laufzeiten einen Teil der zusätzlichen Gewinne abgeben sollen. Die Entsorgung von Atommüll ist nach wie vor ein ungelöstes Problem und die Einstellung, erst einmal fleißig Abfall zu produzieren und dann mal zu sehen, was man damit macht oder es unseren Nachkommen zu überlassen, unseren Dreck aufzuräumen, ist ein Verbrechen an den uns nachfolgenden Generationen.
 
Bleibt das Thema Sicherheit. Kernkraftwerke gelten als sehr sicher, vor allem die deutschen. Wenn aber einmal etwas passiert, dann sind die Folgen überaus schwerwiegend. Mit der von den Befürwortern propagierten zunehmenden Dichte solcher Kraftwerke steigt auch, schon rein statistisch, die Gefahr einer größeren Katastrophe. Längere Laufzeiten, wie gerade vereinbart, bedeuten eine höhere Belastungsprobe für das Material. Werkstoffe, die ständig radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, altern und verspröden schneller. Damit steigt das Risiko von Pannen. Besonders aufschlussreich finde ich in diesem Zusammenhang die Äußerung des Sprechers eines Kraftwerksbetreibers, der sagte, "die zusätzlichen Sicherheitsanforderungen dürfen nicht zu Lasten der Wirtschaftlichkeit gehen." Unverblümter hat noch keiner gesagt, worum es hier wirklich geht und wie egal den Betreibern die Sicherheit tatsächlich ist.
Durch die Ereignisse in Japan im März 2011 hat dieser Beitrag eine unerwartete Aktualität und Brisanz bekommen. Die Katastrophe, die sich dort gerade abspielt, lehrt uns zweierlei:
1. Absolute Sicherheit ist eine Illusion.
2. Die Annahme, ein echter Störfall sei jederzeit beherrbar, ist ein Wunschtraum.

Gut, in Europa sind Erdbeben von solchem Ausmaß (8,8) nicht zu erwarten. Trotzdem können Umstände eintreten, die zu einer ähnlichen Katastrophe führen. Unser Umweltminister Röttgen beeilt sich auch schon, die Dinge zu relativieren. Es habe ja in Fukushima keine Explosion wie in Tschernobyl gegeben, sondern vermutlich "nur?" eine Kernschmelze. Bisher galt die als der GAU. Was muss denn noch passieren? Nichts gelernt, 25 Jahre nach Tschernobyl? Auch damals bestand keine Gefahr, weil ja die Strahlenbelastung bei uns immer unter den (willkürlich festgelegten) Grenzwerten lag - angeblich. Die Feuerwehr meiner Heimatstadt half damals im Fährhafen Travemünde bei der Überprüfung und Dekontamination von LKW, die aus dem Osten kamen. Mit ihren Instrumenten maßen die Spezialisten auch in der Umgebung die Strahlung, vor allem nach Niederschlägen. Sie war bis zu zehnmal höher als offiziell angegeben. Seitdem glaube ich den amtlichen und lobbygestützten Aussagen von Ministern und Behörden nicht mehr. Ja, die Wahrscheinlichkeit für einen solchen GAU ist gering, aber sie ist nicht gleich Null. Und wenn er eintritt, dann sind die Folgen verheeerend. Wer will dafür dann die Verantwortung übernehmen? Kann überhaupt jemand für diese Konsequenzen die volle Verantwortung tragen?
Altkanzler Helmut Kohl meinte dazu,die Kernenergienutzung in Deutschland sei durch das Unglück in Japan nicht gefährlicher geworden, als sie es vorher gewesen ist. Diese Aussage ist ebenso richtig wie sinnfrei. Die Nutzung der Kernenergie ist natürlich nicht gefährlicher geworden, aber das Unglück in Japan macht uns noch deutlicher, wie gefährlich sie schon immer war.
 
Brauchen wir die Kernenergie denn überhaupt? Im Prinzip nein. Neue Kraftwerke zu bauen, nur weil in Russland oder in Asien auch welche gebaut werden, ist kein guter Grund und nichts anderes als ein Totschlagargument der AKW-Befürworter. Fehler zu machen, nur weil andere sie auch begehen, ist dumm. Wer so argumentiert, gleicht demjenigen, der sagt, wenn tausende von Lemmingen eine Klippe hinunter springen, dann kann das nicht falsch sein. Das uns der Verzicht auf Atomkraft ins Mittelalter zurückwirft, wie einige Befürworter uns ausmalen, ist einfach Unsinn. Warum suchen wir nicht nach anderen Lösungen, die wirklich zukunftsfähig sind?
Unsere größte Energiequelle ist die Sonne. Sie liefert uns ständig mindestens 5000mal mehr Energie, als wir nach heutigem Stand brauchen. In weniger als 2 Stunden kommt auf der Erde soviel Energie an, wie wir in einem Jahr verbrauchen (alles zusammen genommen). Und dabei gehen wir mit Energie immer noch ziemlich verschwenderisch um. Es sollte doch wohl möglich sein, aus diesem gewaltigen Überschuss genügend für unsere Bedarfe abzuzweigen! Rein theoretisch genügt eine Fläche von 100000 km2, das ist etwas mehr als die Größe Österreichs, um die gesamte Menschheit zu versorgen. Nun scheint auch in Österreich die Sonne nicht 24 Stunden täglich und die Österreicher wären wohl auch nicht so begeistert, wenn sie auswandern müssten. Natürlich sind auch keine 100% Wirkungsgrad erreichbar und die Verteilung der Energie wäre ebenfalls recht aufwändig und verlustbehaftet. Dennoch macht dieses kleine Beispiel eines deutlich: im Prinzip ist mehr als ausreichend Energie vorhanden. Die oft wiederholte Behauptung, erneuerbare Energien könnten niemals die konventionellen Energiequellen vollständig ersetzen, ist nicht richtig. Wir müssen nur neue Wege beschreiten und die Denkblockaden in unseren Köpfen überwinden. Wer erst gar nicht anfängt, sich nach neuen Wegen umzusehen, der wird auch niemals welche finden. Wir brauchen neue Formen der Energiegewinnung, "intelligente" Netze, Speichertechniken und einen vernünftigeren Umgang mit Energie. Es ist noch viel Forschung notwendig, doch dafür wäre unser Geld besser angelegt als in den weiteren Ausbau der Kernenergie, die viele Probleme aufwirft und die wir eigentlich gar nicht brauchen. Erneuerbare Energien müssen auf Dauer nicht zwangsläufig teurer sein und Arbeitsplätze kosten. Sie können langfristig rentabel sein und neue Arbeitsplätze schaffen. Schon heute gibt es Anbieter von Ökostrom, die die großen versorger unterbieten können. Die großen, börsennotierten Konzerne müssen nämlich ständig steigende Gewinne produzieren, und das geht in einem stagnierenden oder gar schrumpfenden Markt nur durch Preiserhöhungen. Die Preise werden also in jedem Fall steigen.
Seit über 30 Jahren haben Solarzellen den selben mickrigen Wirkungsgrad von etwa 15%. In dessen Steigerung wird kaum investiert, lieber arbeitet man daran, die bestehende Technologie immer billiger zu machen. Wo bleiben hier die einst weltweit gerühmten und geschätzen deutschen Forscher?
 
Erst kürzlich (Februar 2011) wurde ein neues Konzept vorgestellt, Energie aus nicht konstant arbeitenden Quellen zu speichern. Mit dem Strom aus Wind- und Sonnenkraft wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Das ist noch nicht neu, doch die Handhabung von Wasserstoff ist ziemlich unpraktisch. Die Lösung: Durch eine Reaktion mit CO2 aus der Luft wird daraus synthetisches Erdgas. Das lässt sich einfacher speichern und verteilen, ein Netz ist schon vorhanden. Das gesamte Erdgasnetz könnte als Puffer dienen. Wie man sieht, gibt es durchaus Möglichkeiten. Man muss sie nur suchen und auch nutzen wollen.
Atomkraft wird uns gerne als "Brückentechnologie" angepriesen, doch ist noch nicht erkennbar, wohin die Brücke führen soll. So wird sie immer länger, ohne das ein Ende in Sicht ist. Mit dem ewig wiederholten Scheinargument, dass ein kurzfristiger Verzicht nicht möglich sei, wird seit 25 Jahren nicht ernsthaft nach Alternativen gesucht. Wir haben schon viel Zeit verschwendet.
Kurzfristig ist ein Ausstieg nicht realistisch, dafür ist unsere Abhängigkeit von der Atomkraft noch zu groß. Mittelfristig aber ist es machbar. Wir müssen nur wollen. Atomkraft? Nein, danke!