Philosophie - was ist das?

"Was ist ein Hund?" Mit dieser Frage überraschte uns unser Philosophie-Lehrer in der ersten Unterrichtsstunde. Eine Frage, die eher in das Fach Biologie gehört, oder? Unsere Antwort war zunächst entsprechend einfach. Ein Hund ist ein Lebewesen mit vier Beinen, das bellt. Der Lehrer ließ sich auf alle Viere nieder, machte "wau, wau" und fragte: "Bin ich nun ein Hund?" Sicher nicht. Und damit waren wir gleich mit zwei Problemen der Philosophie konfrontiert. Zum einen war unsere Beschreibung eines Hundes offenbar zu ungenau, zum anderen wurde deutlich, dass schon einige wenige ungenaue Begriffe ausreichten, um beim Zuhörer ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Der Empfänger einer Botschaft bekommt ein paar Informationen und Sinneseindrücke, sein Gehirn assoziiert sie mit Bekanntem, schafft sich damit ein Bild, das es für richtig hält und wir waren mitten drin in der Erkenntnistheorie. Philosophische Fragen begegnen uns auch im normalen Alltag überall, nur meistens bemerken wir sie nicht. Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Philosophie, zu klären, was ein Hund nun wirklich ist und wie man ihn eindeutig beschreibt. Das kann man ruhig den Biologen überlassen. Doch dieses Beispiel zeigt einen grundsätzlichen Aspekt auf. Es geht in diesem Fall darum zu klären, wie Information übertragen wird, was der Empfänger daraus machen kann, wie wir überhaupt an Information kommen, ob und wie weit wir uns darauf verlassen können. Es wird klar, dass auch scheinbar einfache Dinge durchaus mehrere Bedeutungen und Seiten haben können, dass nicht alles immer so eindeutig ist, wie es scheint. Wer sich dessen bewusst ist, kann ganz neue Denk- und Sichtweisen entwickeln.

Was ist Philosophie eigentlich, wozu kann man sie heute noch gebrauchen und warum beschäftigen sich immer noch Menschen damit? Keine Sorge, es kommt nun keine langatmige Einführung in die Philosophie, eine Vorstellung der verschiedenen Richtungen oder der großen Philosophen. Das alles kann man bei anderen Quellen nachlesen. Zur Philosophie gibt es viele Meinungen, Gerüchte und Vorurteile, mit denen ich hier ein bißchen aufräumen möchte. Vielleicht macht das auch dem einen oder anderen Mut, sich gelegentlich mal mit dieser interessanten Materie zu befassen.
Wer sich intensiver mit den verschiedenen Richtungen oder mit den wichtigen Philosophen befassen möchte, der findet z. B. bei Wikipedia viele Informationen. Eine gute Seite zum Nachschlagen ist auch "www.philolex.de" von Peter Möller, eine Art Lexikon der Philosophie mit vielen Informationen und allgemeinverständlichen Erklärungen.

Warum beschäftigen sich heute wieder mehr Menschen mit Philosophie? Gerade in der heutigen Zeit, die zum einen immer schnelllebiger und konsumorientierter wird, zum anderen aber auch zunehmend von Krisen und Existenzängsten geprägt ist, fragen immer mehr Menschen danach, was der wirkliche Sinn des Daseins sein könnte oder wie es mit unserer Gesellschaft sinnvoll weiter gehen kann. Hinzu kommt immer häufiger eine Ahnung davon, dass es außer der Jagd nach mehr Geld und der schnellen Befriedigung künstlich geschaffener Bedürfnisse noch etwas anderes geben könnte. Die philosophische Beschäftigung mit sich und seiner Umwelt ist wie eine Wanderung im Kopf auf einem Pilgerpfad, nur dass dieser Weg noch mehr Biegungen hat und man das Ziel erst erfährt, wenn man es erreicht hat. Die Philosophie kann dazu beitragen, Antworten zu finden, die Soziologen und Politiker nicht geben können. Ich finde die Tatsache, dass das Interesse an diesen geistigen Dingen und gesellschaftlichen Themen wieder zunimmt, sehr ermutigend.
Manche Kritiker - auch die gibt es - sagen, die Philosophie sei die Ersatzreligion der Atheisten. Das ist Ansichtssache und nicht ganz zutreffend. Nicht alle Philosophen sind Atheisten, im Mittelalter waren viele sogar theologisch ausgebildet. Und: die Religion beruht auf einem Glauben, die Philosophie sucht dagegen nach Wissen und Wahrheit. Paradoxerweise sind es meistens die Philosophen, die ihr Weltbild immer wieder in Frage stellen, während die Religionen, die ausschließlich auf einem Glauben beruhen, für sich in Anspruch nehmen, im Besitz der einzigen und alleingültigen Wahrheit zu sein. Die wollen einige sogar, notfalls mit Gewalt, auf der ganzen Welt verbreiten. Wer sich mit Philosophie beschäftigt, der lernt vor allem zu erkennen, dass jedes Ding mindestens zwei Seiten hat und das nicht alles immer so ist, wie es zunächst den Anschein hat. Sicher, es gibt Philosophen, die engstirnig sind ihre eigene Meinung für die einzig richtige halten. Aber im Allgemeinen trägt eine philosophische Herangehensweise dazu bei, den eigenen Horizont zu erweitern.

Oft stellt man sich Philosophen als spleenige Gestalten vor, die kompliziert um viele Ecken denken und für "normale" Menschen unverständlich bleiben. Sie leben wie Diogenes in einer Tonne, missbrauchen die Grammatik für endlose Schachtelsätze, in denen man sich leicht verirren kann (Kant), spicken ihre Aussagen mit unzähligen lateinischen oder altgriechischen Fachausdrücken (viele), sind unnahbare, sogar widerwärtige Zeitgenossen, die nur einen Pudel als Freund akzeptieren (Schopenhauer) oder verbiegen Substantive zu Verben, um damit Sätze zu bilden, deren Sinn vermutlich auch ihr Urheber nicht mehr verstanden hat (Heidegger). Doch es gibt auch eine große Anzahl (auch bekannter) Philosophen, die sich durchaus klar und verständlich äußerten und es auch heute tun. Philosophen sind ein bisschen wie moderne Künstler: Je weniger ihre Werke verstanden werden, desto höher werden sie geachtet, weil niemand, vor allem die Kritiker, zugeben will, dass er nichts verstanden hat. Was unverständlich ist, muss eben genial sein. Lösen Sie sich einfach davon, nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand und vieles wird einfacher.

Der Begriff "Philosophie" begegnet uns im täglichen Leben. Unternehmen haben eine Firmenphilosophie, Leute sagen "es ist meine Philosophie, zu ...". Damit meinen sie meistens eine bestimmte Denkweise oder Weltsicht. Das ist im Wortsinne nicht ganz richtig und zu begrenzt. Der Ausdruck setzt sich zusammen aus den griechischen Worten "philia" = "Freund" und "sophia" = "Weisheit", "Wahrheit". Ein Philosoph ist also im Wortsinn ein Freund der Weisheit oder der Wahrheit. Tatsächlich waren die ersten Philosophen (die damals noch nicht so hießen) frühe Wissenschaftler, die versuchten, sich und anderen zu erklären, wie die Welt und das Universum funktionieren, warum Menschen bestimmte Dinge tun und wie das Zusammenleben verbessert werden kann. In der Antike, vor etwa zweieinhalb tausend Jahren, als die Philosophie aufkam, waren viele Naturgesetze noch nicht entdeckt und es gab keine Labors mit hochempfindlichen Meßeinrichtungen, um etwas zu untersuchen. Die frühen Wissenschaftler waren darauf angewiesen, ihre Umgebung zu beobachten, Schlüsse zu ziehen und wenn möglich Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Schon zu jener Zeit kam die berühmte Frage auf, wie weit wir unseren Beobachtungen eigentlich vertrauen dürfen und wie gut die darauf beruhenden Schlussfolgerungen überhaupt sein können.
Andere beschäftigten sich mit dem, was wir heute Geistes- und Sozialwissenschaften oder Politik nennen. Sie versuchten Fragen zu klären wie "was ist gut oder schlecht, was ist gerecht oder ungerecht", die wichtig für die Rechtsprechung sind, sie versuchten die beste Form des Zusammenlebens oder die beste Staatsform zu finden. Auch diese Themen sind bis heute wichtig geblieben und keineswegs schon lange und für immer geklärt. Mit der Weiterentwicklung des Menschen, der Veränderung der Gesellschaften und unserer Umgebung müssen verschiedene Themen immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt werden. Die moderne Wissenschaft konnte zwar einige Fragen der Philosophie beantworten, doch es sind auch wieder neue Fragen entstanden.
Die Wissenschaftsform der Philosophie entstand etwa zeitgleich nicht nur in Griechenland und im römischen Reich. Auch im Morgenland, in Indien und in China gab es ähnliche Entwicklungen. Die Philosophie ist keine verstaubte Wissenschaft der Vergangenheit. Viele Weisheiten von Konfuzius oder Lao-Tse werden noch heute gerne zitiert, die kritischen Bemerkungen Sokrates' über die Jugend sind heute genauso aktuell wie damals.

Philosophische Fragen begegnen uns im Alltag häufiger, als wir glauben. Wir nehmen sie nur meistens nicht als solche wahr. So z. B. die Fragen "was ist gut oder schlecht?", "was ist gerecht?", "darf der Staat unrechtmäßig erworbene Informationen nutzen, um anderes Unrecht zu ahnden?", "soll Abtreibung erlaubt werden?", "soll Sterbehilfe erlaubt werden?" oder "was ist eigentlich Leben?" Weitere Themen sind Klonen, Gentechnik, Stammzellenforschung, Friedensmissionen der Bundeswehr usw. Das darüber in Politik und Öffentlichkeit heftig diskutiert wird und so manches Gesetz beim Verfassungsgericht landet, zeigt, dass diese Fragen im Grunde genommen noch immer ungeklärt sind und sich auch nicht so einfach entscheiden lassen. Es sind wahrhaftig "philosophische Probleme" und auch nur so zu lösen (wenn überhaupt). Philosophische Fragen und Themen sind also keineswegs weltfremde Dinge. Jeder hat schon einmal oder öfters philosophiert, die meisten haben es nur nicht bemerkt.
Philosophie ist also alles andere als "out" und jeder ist aufgerufen, nach der Wahrheit zu suchen. Dabei muss es nicht unbedingt immer auch "die" Lösung geben. Für manche Fragen gibt es keine Lösung oder es gibt gleich mehrere mögliche Lösungen ohne dass sich sagen ließe, welche die beste ist. Das ist nicht weiter schlimm, denn auch die Erkenntnis, dass es mehrere Wege geben und dass ein Ding viele Seiten haben kann, ist wertvoll. Selbst die Einsicht, dass weit weniger gewiss ist als wir glauben ("ich weiß, dass ich nichts weiß"), ist nicht so widersinnig, wie sie zunächst erscheint. Sie hilft uns, Dinge zu relativieren und subjektives und objektives auseinander zu halten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man sich nicht in eine bestimmte, eingeengte Sichtweise verrennt. Man muss erkennen und akzeptieren, dass jedes Ding mindestens zwei Seiten hat und das das scheinbar Offensichtliche oft nur ein Zerrbild ist.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob eine weitere Verbreitung der Philosophie und verwandter Wissenschaften dazu beigetragen hätte, Kriege, Armut, Hunger, Diktaturen und andere Übel zu vermeiden oder wenigstens zu verringern. Dann hätten Sie sich gerade eine philosophische Frage gestellt. Gar nicht so schwierig, oder? Die Antwort müssen Sie allerdings selbst suchen. Ich hoffe, Sie haben Spaß dabei und entdecken ein neues Land. Der Stein der Weisen ist noch immer nicht gefunden worden!