Putin verstehen heißt nicht unbedingt Putin unterstützen
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Russland hat sich die Krim geschnappt. Ob das mit dem Völkerrecht vereinbar war, darf bestritten werden und die Rechtfertigungsversuche von Vladimir Putin oder von Linken-Politikern wie Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht klingen eher nach faulen Ausreden. Die Krim habe schon immer zu Russland gehört, sagt Putin. Allerdings hatte Russland 1994 der Ukraine zugesichert, ihre Integrität zu respektieren. Gysi versucht den Rechtsbruch damit zu entschuldigen, dass auch "der Westen" z. B. beim Überfall auf den Irak das Völkerrecht gebrochen habe. Als Anwalt weiß Gysi aber auch, dass ein begangenes Unrecht ein anderes Unrecht nicht rechtfertigt, was er inzwischen selber zugegeben hat. Und Wagenknechts Äußerung, der Völkerrechtsbruch sei im legitimes Interesse Moskaus geschehen, ist ein Widerspruch in sich. Ein Rechtsbruch kann nicht legitim sein.
Das die westliche Allianz ihrerseits das Völkerrecht mißachtet hat, ist zwar richtig, aber keine Rechtfertigung. Der Kreml durfte nicht so handeln, und der Westen darf sich nicht als moralische Instanz aufspielen.
Das westliche Europa ist nun gespalten in der Frage, wie die russischen Aktionen zu beurteilen sind. Kommentatoren und Kolumnisten teilen den Westen in zwei Kategorien ein: Die Putin-Gegner und die Putin-Versteher. Letzteres ist meistens abwertend gemeint. Doch diese Einteilung ist zu oberflächlich. Jemanden zu verstehen bedeutet nicht zwangsläufig, alle seine Taten gutzuheißen. Es bedeutet vielmehr, sich mit seinen Beweggründen zu beschäftigen, die Dinge aus der Sicht des Anderen zu betrachten. So gibt es tatsächlich drei Kategorien. Da sind die Putin-Gegner, meist überzeugte EU-, NATO- und USA-Freunde. Sie halten den Osten für schlecht, weil der Westen gut ist. Sie haben sich meistens nicht die Mühe gemacht, zu versuchen, Putin zu verstehen. Dann gibt es die Putin-Freunde. Sie träumen vielfach noch von der alten Sowjetunion und halten den Osten für gut, weil der Westen schlecht ist. Sie haben Putin nicht verstanden. Dazwischen stehen die Putin-Versteher. Sie sind nicht unbedingt Russland-Fans oder Putin-Anhänger. Aber sie haben versucht, zu verstehen, warum Putin so handelte, wie er es tat, sie versuchen, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Ist das schlecht?
In schwierigen Kriminalfällen helfen so genannte "Profiler". Sie versuchen, die Motive, die Psyche des Täters zu ergründen und zu verstehen. Nicht, um ihn zu verteidigen, sondern um abzuschätzen, aus welchem Umfeld er stammt, was er vielleicht als nächstes vorhat und wie er in welcher Situation reagieren könnte.
Die Putin-Gegner täten gut daran, sich mit seinen Motiven auseinander zu setzen. Anders wird eine Deeskalation kaum gelingen. Ein Grund für das russische Eingreifen wird beim Blick auf die Landkarte deutlich. Die NATO hat ihren Einflussbereich immer weiter nach Osten ausgedehnt, obwohl sie im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung zugesagt hatte, ihre Grenzen nicht zu verschieben. Eventuell noch die Ukraine in die NATO aufzunehmen hätte bedeutet, dass einer der wichtigsten Häfen Russlands, der Stützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sewastopol, sich auf dem Gebiet der NATO befunden hätte. Diese Vorstellung konnte den Russen nicht gefallen und so musste Putin gewissermaßen die Notbremse ziehen. Putin verhält sich manchmal wie ein kleiner Junge, der verzweifelt um Aufmerksamkeit und Anerkennung bettelt. Die hat er nun bekommen.
Viele aus dem linken Lager, die Putin vehement verteidigen, sehen in Russland noch immer das Mutterland des Sozialismus und träumen von einer neuen Sowjetunion. Sie ignorieren dabei, dass Putin Russland in eine Oligarchie verwandelt hat, in der einige Superreiche die Fäden ziehen. In kaum einem anderen Land auf vergleichbarer Entwicklungsstufe ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie in Russland. Das ist sicher eines von Putins Problemen: Der Wirtschaft geht es nicht besonders gut, die breite Masse lebt noch immer in Armut. Putin musste befürchten, an Rückhalt zu verlieren und dass der Rote Platz vor dem Kreml zu einem zweiten Maidan wird. Er musste Stärke zeigen und von den Problemen im Innern ablenken.
Gerne wird auch argumentiert, in Kiew seien Faschisten an der Übergangsregierung beteiligt. Ob man sie so nennen muss, sei dahin gestellt, auf jeden Fall sind Rechtsradikale dabei und vom Westen geduldet. Ein weitere Grund für Putin, dort einzugreifen? Wer so denkt, übersieht, dass gerade Putin und seine Regierung selber zunehmend nationalistische Töne anschlagen. Putin will "russische Erde einsammeln", alles unrussische verbannen und äußert offen Sympathien für rechte Parteien, die kürzlich in Ungarn und Frankreich erfolgreich waren. Weil er seinem Land keine Zukunft bieten kann, flüchtet er sich in die Vergangenheit. Es ist an der Zeit, dass sich einige Linke von gewissen Dogmen lösen. Die zunehmenden nationalistischen Tendenzen in westeuropa kommen dem Kreml gelegen, denn sie schwäschen die EU.
Es mag Wladimir Putin wie eine Demütigung vorkommen, dass ein guter Teil der ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten es vorgezogen hat, sich dem Westen zuzuwenden. Das kann man nicht alleine dem Westen anlasten, sondern Putin sollte sich auch einmal die Frage stellen, woran das liegt. Es sind sicher nicht alleine die Verlockungen des Kapitalismus.
In der Sendung "Günther Jauch" am 23. März 2014 wurde besonders durch die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Arroganz der USA, der EU und der NATO vor allem gegenüber Russland deutlich. Russland und seine Verbündeten müssten sich den westlichen Wertevorstellungen annähern, war die Forderung. Unsere Werte als Maß aller Dinge, das kann nicht funktionieren. Moskau liegt in Osteuropa, der größere Teil Ruslands liegt in Asien. Hier vermischen sich europäische, orientalische und asiatische Einflüsse und Kulturen. Der Westen täte gut daran, das zu akzeptieren und zu tolerieren. Die Versuche, vor allem aus den USA, dem Rest der Welt ihre Vorstellungen aufzudrängen, haben in den meisten Fällen nur zu Ablehnung und Gegenwehr geführt. Putin hatte sich zuvor darüber beklagt, dass es seitens EU und USA zu wenig Gesprächsbereitsschaft gäbe und auch eine Freihandelszone vorgeschlagen, die vom Atlantik bis zum Pazifik reichen sollte. Die EU ging nicht darauf ein, sondern stieß die Russen vor die Köpfe. Nun zeigt man sich erstaunt über deren Reaktion. Russland versucht nun, eine eigene Wirtschaftsunion aufzubauen. Mit dabei: Weißrussland, die letzte echte Diktatur in Europa. Putin ist alles andere als ein "lupenreiner Demokrat", aber die Drohungen und sanktionen des Westens werden ihn nicht umstimmen. Im Gegenteil, das liefert ihm weitere Gelegenheiten zu Ablenkungsmanövern. Wenn es dem Volk schlechter geht, kann er das auf den Westen schieben und sich so mehr Zustimmung sichern. Die westliche Überheblichkeit macht Putin zum Helden. Die Rückkehr zum kalten Krieg, den nun einige fordern, wird seine Macht festigen. Gemachte Fehler durch weitere Fehler zu kompensieren, hat noch nie funktioniert. Hier wurde eine historische Chance leichtfertig verspielt.
Das Gezerre um die Ukraine ist sinnlos und wird am Ende das Land zerreißen. Auch ein Wladimir Putin muss akzeptieren, dass die Grenzen in Europa seit längerem fest sind und nicht mehr nach Belieben geändert werden können. Die Behauptung, dass die Ukraine eigentlich schon immer russisch gewesen sei, sticht nicht. Wie weit darf man dann in der Geschichte zurückgehen? Kann sich die Mongolei auf Dschingis Khan berufen und sagen, Russland sei schon immer mongolisch gewesen? Die Russen haben sich bisher zurückgehalten, vielleicht auch deswegen, weil sie erkannt haben, dass die Ukraine mindestens dreigeteilt ist: Es gibt pro-westliche, pro-russische und pro-ukrainische Bewegungen. Dem Westen fehlt diese Einsicht noch. Die Ukraine muss ihren Weg selber finden, ohne Vorgaben aus Ost oder West.