Unter der Überschrift "Europa richtig machen" hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Reformvorschlägen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron eine klare Absage erteilt. Der hatte ein paar Ideen in dem Raum gestellt, wie Europa besser zusammenwachsen und handlungsfähiger werden könnte. AKK aber möchte nichts verbessern, sie möchte es, wenn überhaupt, "richtig" machen. Richtig heißt: Nach deutschen bzw. nach ihren Vorstellungen. Die deutsche Überheblichkeit kam ja schon immer gut an. Ihre Vorstellung ist ein europäischer Binnenmarkt für Unternehmen und die Finanzwelt. Den gibt es eigentlich schon, aber etwas anderes fiel ihr wohl nicht ein. Das heißt also ein Europa für die Konzerne und Banken, aber nicht ein Europa für die Menschen. Dabei ist gerade das zurzeit besonders wichtig. Europa droht zu zerfallen, die großartige Idee von einem gemeinsamen, offenen Europa droht zu scheitern. Die Menschen fühlen sich nicht mehr vertreten und sie spüren, dass ihre Politiker kaum noch Interesse an einem vereinten Europa haben. Im Gegenteil, viele überbieten sich kurz vor der Europawahl darin, nationale Befindlichkeiten und egoistisches, kleinstaatliches Denken in den Vordergrund zu stellen. Adenauer und Brandt haben den Boden bereitet, auf dem Schmidt und Kohl das Haus Europa aufbauten. Merkel überließ es desinteressiert dem langsamen Verfall und Kramp-Karrenbauer würde es gerne wieder abreißen.

Für die heranwachsende, junge Generation ist ein Europa ohne Grenzen völlig normal. Ältere Generationen, darunter leider auch meine, scheinen damit oft überfordert zu sein. Für manchen begrenzten Horizont ist Europa zu groß.

 

Russland träumt von einem neuen großrussischen Reich, China ist dabei, zur dominierenden Wirtschaftsmacht zu werden und versucht nebenbei, Afrika zu kontrollieren und die USA wollen gleich die ganze Welt nach ihren Vorstellungen umgestalten. Um uns herum wird die Welt neu geordnet und wir Europäer streiten uns untereinander um Kleinigkeiten. Dabei müssen wir ein Gegengewicht zu den anderen Machtblöcken aufbauen und das geht nur miteinander. Alleine wären wir bald bedeutungslos. Wir brauchen Politiker, die erkennbar für ein gemeinsames Europa eintreten, mit einer Stimme sprechen und damit schließlich auch die Zweifler überzeugen können. Warum nicht so etwas wie die "Vereinigten Staaten von Europa" schaffen? Nationalismus hat sich immer wieder als Irrweg erwiesen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, das braucht Zeit. Leider denken Politiker heutzutage viel zu kurzfristig. Ausgerechnet das EU-kritische Großbritannien zeigt, wie so etwas gehen könnte: Eine zentrale Regierung für die großen, übergeordneten Themen und regionale Parlamente für die lokalen Fragen. Wir versuchen er eher anders herum mit dem Ergebnis, dass sich viele EU-Bürger von Brüssel bevormundet fühlen, während wir nach außen hin wirken wie eine aufgeregte Schulklasse, in der jeder Klassensprecher sein will. Viele fürchten einen Verlust unserer Souveränität, doch welche Souveränität ist uns überhaupt noch geblieben? Die deutsche Politik wird im Wesentlichen von Konzernen, Banken und Lobbyverbänden bestimmt. Die Wirtschaft ihrerseits reagiert vor allem auf die Tweets eines unberechenbaren amerikanischen Präsidenten.

 

Nein, Europa ist nicht perfekt. Aber etwas gleich aufzugeben, weil es nicht perfekt ist, wie es manche am linken oder rechten Rand gerne täten, bringt uns nicht weiter. Das sind einfache Antworten für schlichte Gemüter. Hätten alle Erfinder immer gleich aufgegeben, wenn etwas nicht so funktionierte, wie sie es sich vorgestellt hatten, dann würden wir heute noch in Höhlen leben. Fortschritt durch Stillstand gibt es nicht.  Wir müssen Europa besser machen. Das erfordert Zeit und Anstrengung, aber es dürfte sich langfristig lohnen. Für uns Deutsche wird es nicht ganz ohne Einschnitte abgehen, aber dafür profitieren wir derzeit auch am meisten. Einen Großteil unserer Handelsüberschüsse erzielen wir innerhalb der EU. Darunter leiden andere Länder. Einige Politiker haben anscheinend die Vorstellung, dass alle Überschüsse erzielen könnten, wenn sie sich nur anstrengen würden. Das kann natürlich nicht funktionieren. Wenn konservative Politiker betonen, dass wir unseren Wohlstand bewahren müssen, dann meinen sie meisten: Wir müssen die Gewinne der Unternehmen sichern. Der Wirtschaft geht es gut, den Bundesbürgern aber eher mittelmäßig. Die EU schafft und erhält zwar Arbeitsplätze, aber ein echter Nutzen ist für viele nicht sichtbar. Die viel gepriesene "Europäische Wertegemeinschaft" verspricht ethische, soziale und kulturelle Grundwerte für alle, doch bei näherer Betrachtung reduzieren sich diese auf vorwiegend monetäre Werte. Es geht weniger um den gesellschaftlichen Zusammenhalt als um Wettbewerb und Gewinnmaximierung, gegeneinander statt miteinander.

 

Daran muss sich etwas ändern. Dazu gehört, dass man sich gegenseitig zuhört und Vorschläge überdenkt und diskutiert, anstatt sie einfach abzulehnen. Warum nicht endlich etwas gegen internationales Lohn- und Steuerdumping und die daraus entstehenden Abwärtsspiralen unternehmen? Warum nicht eine vernünftige soziale Absicherung für alle? Warum nicht anständige Arbeitsbedingungen für alle, vor allem für jene, die länderübergreifend tätig sind? Der Wirtschaft würde das natürlich weniger gut schmecken, sie liebt den Wettbewerb um niedrige Löhne. Aber wir brauchen kein Europa nur für die Wirtschaft. Wir brauchen ein Europa dür die Menschen.