Der Mythos vom ewigen Wachstum
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Der Mythos vom ewigen Wachstum oder Was wird aus unserer Gesellschaft?
Wir schreiben das Jahr 2011. Wir haben gerade eine Bankenkrise relativ gut überstanden, da trifft uns nun eine Schuldenkrise. Die Staatsschulden vieler Länder haben ein Ausmaß erreicht, das kaum noch zu bewältigen ist. Deutschland geht es noch relativ gut dabei, doch es fehlt nicht mehr viel bis auch wir reif sind für den Schuldenberater. Kein problem, sagen uns Politiker und Wirtschaftsbosse. Wir brauchen nur mehr Wirtschafts-Wachstum, dann wird es schon werden. Wachstum schafft Arbeitsplätze, Wohlstand, höhere Einkommen und generiert damit auch höhere Steuereinnahmen, mit denen wir dann die Schulden abtragen können. Seltsam nur, dass wir diese Sprüche schon seit Jahrzehnten hören, doch mit der Wirtschaft sind auch die Schuldenberge gewachsen. Woran liegt das? Brauchen wir einfach nur noch mehr Wachstum oder läuft hier etwas völlig schief?
Wir leben in einer Gesellschaft, die auf kontinuierliches Wachstum und Zinseszinsen baut. Das bedeutet, dass wir nicht nur ständig Gewinne erzielen müssen, sondern das diese Gewinne auch noch regelmäßig steigen müssen. Die Gewinne von morgen finanzieren wir mit den Krediten von heute. Mehr Gewinne in der Zukunft erfordern mehr Kredite heute. Es genügt nicht, konstante Gewinne zu erzielen, sondern die Rendite muss stimmen, das Verhältnis von Ertrag zu eingesetztem Kapital. Damit sind wir beim Zinseszins-Effekt. Bei konstantem Zins steigt der jährliche Ertrag, weil auch der Ertrag des Vorjahres mit verzinst wird. Was für Sparer zunächst sehr positiv ist, ist für die Gesamtwirtschaft auf die Dauer verheerend. Die Wirtschaft muss immer mehr produzieren, um einen Gegenwert zu den Zinseszinsen zu schaffen. Ein kleines Rechenbeispiel soll den Effekt verdeutlichen: Hätte ein vorausschauender Vorfahr vor 1000 Jahren für Sie den Gegenwert von einem Euro mit 3% Zinsen fest angelegt, dann besäßen Sie heute ein Vermögen von fast 7 Billionen Euro! Keine Bank der Welt könnte dafür die jährlichen Zinsen auszahlen. Bei 5% käme eine Zahl mit 21 Nullen heraus, eine Summe, für die die heutige Weltwirtschaft rund 30 Millionen Jahre arbeiten müsste.
Es ist offensichtlich, dass permanentes Wachstum und Zinseszinsen eines Tages zum Kollaps des Systems führen müssen, doch Politik und Wirtschaft setzen unverdrossen weiter darauf. Unsere Erde ist ein in sich geschlossenes System und in einem geschlossenen, endlichen System kann es kein unendliches Wachstum geben. Als Physikerin müsste Kanzlerin Merkel das eigentlich wissen, und dennoch versucht die Bundesregierung, mit dem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" noch mehr Wachstum zu erzwingen. Nicht nur die Geldmenge würde explodieren und damit wertlos werden, auch die für das Wachstum benötigten Ressourcen wie Rohstoffe und Energie sind nur begrenzt vorhanden. Das Wachstum muss also irgendwann zum Erliegen kommen, doch niemand will das wahrhaben. Politiker setzen auf Wachstum, um die Verpflichtungen aus der Staatsverschuldung bedienen zu können, Unternehmen und Aktionäre wollen steigende Renditen, Sparer wollen ihre Guthaben verzinsen und Arbeitnehmer wollen regelmäßige Einkommenssteigerungen. Es muss also immer schneller immer mehr produziert werden. Alle glauben an das ewige Wachstum, das das alles ermöglichen soll, doch das ist nur ein Mythos.
Einen Zusammenbruch der Finanzsysteme werden wir mehr oder weniger gut überstehen. Das hat es in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben, wenn auch in kleineren Dimensionen. Doch noch nie waren wir so kurz davor, die vorhandenen Rohstoffe aufzubrauchen und damit eine Grundlage unserer modernen Gesellschaft zu zerstören. Das wird weitaus dramatischere Auswirkungen haben als eine Staatspleite.
Wir verbrauchen unsere Zukunft. Vielleicht werden nur die "entwickelten" Kulturen untergehen, so wie schon viele andere Hochkulturen vor uns untergegangen sind. Wenn nicht, wird die Menschheit die erste Art auf diesem Planeten sein, die deshalb ausstirbt, weil ihr das Überleben zu teuer ist.
Immer schneller werden Wälder, vor allem die Tropenwälder, abgeholzt, damit wir billiges Holz für Gartenmöbel, billiges Papier oder einfach Platz für Rinderweiden und Palmöl-Plantagen bekommen. Wenn es so weiter geht, wird es in wenigen Jahrzehnten kaum noch Wälder auf diesem Planeten geben. Als erstes werden die Tropenwälder verschwinden. Sie aber sind die "grüne Lunge" der Erde. Wir brauchen sie, um das CO2 in der Atmosphäre zu binden und frischen Sauerstoff zu erzeugen. Unsere eigenen Wälder reichen dafür nicht aus. Was dann geschieht, ist unberechenbar. Können und dürfen wir dieses Risiko eingehen?
Es ist an der Zeit, etwas zu unternehmen. Doch noch immer gibt es genügend Stimmen, sogar von hoch gebildeten (?) Leuten, die sagen, Umwelt- und Naturschutz oder nachhaltiges Wirtschaften sei zu teuer und koste Arbeitsplätze. Unfassbar: Um heute etwas Geld zu sparen, nehmen wir unseren Kindern und Enkelkindern ihre Zukunft, vielleicht sogar unserer gesamten Spezies. Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, keine Bildung, kein Wohlstand, so wird uns erzählt, und so verbrauchen wir munter immer mehr von dem, was immer weniger wird. Wenn das so wäre, dann wäre unser Untergang schon besiegelt, da es eines Tages kein Wachstum mehr geben wird. Es muss also eine andere Lösung her. Mit der Wette auf grenzenloses Wachstum übertünchen wir für den Moment die wahren Probleme. Die Franzosen nennen sowas "cache misère", die Misere kaschieren.
Die Menschheit steht vor einem noch größeren Problem, dass sie noch weniger wahrnehmen will. Unbemerkt und unbeachtet gehen verschiedene andere notwendige Ressourcen zur Neige. Nicht nur Öl und Holz werden knapp werden. Auch sauberes Wasser wird ein Thema werden und, woran kaum jemand denkt: alltägliche Rohstoffe wie Kupfer, Eisen, Silber, bestimmte Metalle zur Stahllegierung. Je nach Rohstoff und Verbrauch reichen die wirtschaftlich abbaubaren Vorräte noch 20 bis 100 Jahre. Es ist zu befürchten, dass es um die letzten Reserven eines Tages Kriege geben wird. Einen Krieg um Öl hatten wir ja schon. Die daraus entstehenden Konsequenzen für unsere Gesellschaft sind kaum abschätzbar und wir sind nicht einmal ansatzweise darauf vorbereitet.
Es gibt ein Beispiel dafür, wie eine isolierte Kultur durch Überlastung ihrer Umgebung und Größenwahn schließlich zusammenbrach: die Osterinsel. Sie liegt ziemlich einsam mitten im Südost-Pazifik. Als vor rund 1000 Jahren die ersten Polynesier dort landeten, gab es zwar auch nur wenige Tier- und Pflanzenarten, aber immerhin dichte Wälder und alles, was man zum Leben brauchte.
Für einige Jahrhunderte konnten 10-12 Stämme recht gut auf der Osterinsel leben. Irgendwann kamen die Häuptlinge oder Priester auf die Idee, die berühmten, riesigen Steinfiguren zu schaffen. Die Stämme versuchten vermutlich, sich gegenseitig darin zu übertreffen und schufen immer mehr und immer größere Statuen. Für den Transport der tonnenschweren Kolosse benutzte man Baumstämme als Rollen. Die Wälder wurden zunehmend gerodet, schneller, als neue Pflanzen nachwachsen konnten. Bald ging das Holz aus, die Produktion der Steinfiguren kam zum Erliegen. Das Abholzen der Wälder hatte noch weitere Folgen: Das Regenwasser floss schneller ab und spülte die Humusschichten ins Meer. Süßwasser wurde knapp, Ernten schlechter, es fehlte Material für den Bau neuer Hütten und Kanus. Fischfang war nur noch im flachen Wasser möglich. Hunger breitete sich aus. Um die letzten Reserven entbrannten grausame Kriege, am Ende kam es zu Kanibalismus.
Als Europäer die Insel im 18. Jahrhundert wiederentdeckten, lebten dort nur noch wenige Menschen in kümmerlichen Verhältnissen. Die einst blühende Kultur ist vermutlich innerhalb von nur 100 Jahren kollabiert.
So könnte die Prophezeihung des alten Cree-Indianers doch noch wahr werden: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gefangen und der letzte Fluss vergiftet ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann". Es ist höchste Zeit für ein radikales Umdenken. Viele glauben immer noch, es sei 5 vor 12 und damit noch genügend Zeit. Das war einmal. Die Zeit ist nicht stehen geblieben: Es ist 12!
Hoimar von Ditfurth hat eines seiner Bücher betitelt: "So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen, es ist soweit!" Er war seiner Zeit etwas voraus, doch wir haben ihn eingeholt. Fangen wir an, es ist höchste Zeit! Es kann kein ewiges, endloses Wachstum geben. Deshalb müssen wir radikal umdenken und lernen, bescheidener zu werden. Unsere auf ständig steigenden Konsum ausgerichtete Gesellschaft hat keine andere Chance als zu versuchen, rechtzeitig auf die Bremse zu treten. Das, was uns noch immer als Medizin verkauft wird, verschlimmert in Wirklichkeit die Krankheit der modernen Gesellschaft.
Wir sind auf unsere funktionierende Infrastruktur angewiesen. Wenn sie zusammenbräche, wer wäre dann in der Lage, sich und seine Familie noch zu versorgen? Nur einige Völker in Dritte-Welt-Ländern kämen auch ohne unsere moderne High-Tech-Umgebung noch zurecht. Sie könnten eines Tages unseren Platz einnehmen. Hoffen wir, dass es ihren Archäologen gelingt, die Rätsel zu lösen, die wir ihnen hinterlassen und das sie rechtzeitig die richtigen Schlüsse und Konsequenzen daraus ziehen. Unsere Gesellschaft ist zu bestimmten Einsichten scheinbar nicht fähig.