Griechenland als Vorbild
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Viele regen sich in diesen Tagen über die Griechen auf, auch über andere Südeuropäer. Sie seien zu faul und zu bequem, leisteten zu wenig und hätten deshalb die Probleme mit dem Euro und den Schulden. Sie müssten wettbewerbsfähiger werden, produktiver, wachstumsorientierter. Das sei eben ihre Mentalität, konnten wir bei Sarrazin lesen. Den Deutschen dagegen gehe es gut, denn sie seien fleißug, produktiv, zuverlässig und strebsam. Und klagen immer häufiger über Stress, Depressionen, Burn-Out und Leistungsdruck. Psychologen und Soziogen raten zu verbesserter Work-Life-Balance, Entschleunigung, Besinnung auf die schönen Dinge des Lebens. Seltsam, den Südländern, vor allem den Griechen, die das bereits praktizieren, machen wir genau das zum Vorwurf. Ticken wir eigentlich noch ganz richtig?
Vielleicht sind wir auch einfach ein bißchen neidisch auf die Südländer, die sich heute das gönnen, wovon wir träumen und auf das wir hinarbeiten, um es wenigstens als Rentner noch ein wenig genießen zu können, ein ruhiges, angenehmes Leben. Nur das manche das nicht erleben können, weil der Herzinfarkt sie vorzeitig dahinrafft.
Wir träumen davon, wirklich zu leben, die Seele baumeln zu lassen, und das nicht nur im Urlaub. Trotzdem ordnen wir alles dem Konsum- oder dem Gewinnstreben unter. An der Spitze dieser Bewegung stehen Manager von Konzernen, die jedes Maß, jeden Sinn für die Realität verloren haben und die ein Maximum an Leistung und Effizienz aus den Mitarbeitern herausquetschen wollen sowie eine Bundeskanzlerin Merkel, die ebenfalls ständig mehr Wachstum will (obwohl es ewiges Wachstum nicht gibt) und sich sogar eine "marktkonforme Demokratie" wünscht. Alles soll den Anforderungen "der Märkte", der Herrschaft des Geldes, untergeordnet werden, dann wird alles gut. Und das sollen bitteschön auch die faulen Südeuropäer endlich einsehen. Damit auch die einmal von dem schönen Leben träumen können, das sie haben könnten, wenn sie nicht immer nur ihr schönes Leben genießen würden?
Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Ich empfehle dazu die Lektüre von Heinrich Bölls "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral", die er 1963 schrieb, als das Wirtschaftswunder unser Leben bestimmte. Darin geht es um einen Touristen, der einen vor sich hindösenden griechischen Fischer trifft. Der Tourist wundert sich, dass der Fischer schon am frühen Nachmittag mit seiner Arbeit fertig ist und malt ihm aus, wieviel mehr er verdienen und besitzen könnte, wenn er ein zweites Mal aufs Meer hinaus fahren würde: ein weiteres Boot, Mitarbeiter, eine Fischfabrik... Der Fischer fragt nur "Und dann?" Zum Schluss sagt der Tourist "Dann könntest du dich ausruhen und ihm Hafen dösen." Darauf antwortet der Fischer "Aber das mache ich doch jetzt auch schon!" und der Tourist zieht nachdenklich seiner Wege.
Wir müssen uns auch einmal die Frage stellen, welches Recht wir Mittel- und Nordeuropäer eigentlich haben, den Anderen eine Lebensweise aufdrängen zu wollen, die sie ablehnen. Gelegentlich sollten wir uns an einige alte preußischen Tugenden erinnern. Eine lautete: Jeder soll nach seiner Facon selig werden.
Wir sind schon ein wenig verrückt. Wir wissen, dass unser heutiger Lebensstil uns auf die Dauer nicht gut bekommt und fordern von denen, die es besser machen, dass sie das aufgeben. Okay, keine Steuern zu zahlen, ist keine Lösung, da müsste man einen Kompromiss finden. Doch es ist nicht alles schlecht, was da am Mittelmeer passiert. Etwas mehr mediterrane Gelassenheit würde uns sicher guttun. Da könnten wir von den Griechen und anderen Südeuropäern durchaus etwas lernen.