Wenn es darum geht, die Fotoausrüstung zu erneuern oder zu erweitern, werden die meisten von uns sicher auch Testberichte aus Fachzeitschriften oder dem Internet zu Rate ziehen. Die können bei der Entscheidungsfindung durchaus hilfreich sein, aber auch in die Irre führen. Nicht alle Tester urteilen neutral, manchmal sind die Randbedingungen unklar, einige Rezensenten kopieren einfach die Werbetexte der Hersteller. Da erscheinen gerade für Kameras und Objektive Tests mit Testcharts und Messdaten besonders objektiv. Doch genau diese möchte ich hier infrage stellen und zeigen, dass sie nicht immer die Wirklichkeit wiedergeben.

Als Beispiel dafür nehme ich das beliebte und noch relativ neue EF 70-300mm f/4-5.6 IS II USM von Canon. Die Bewertungen für dieses Objektiv, das durchaus für Vollformat-Kameras gedacht ist, sind sehr unterschiedlich. Vor allem Fotografen sagen, dass es (für die Preisklasse) erstaunlich scharf sei, in eher technischen Testberichten wird dagegen von einem starken Schärfeabfall an den Rändern im Bereich 70mm bis etwa 100mm berichtet. Was ist nun richtig? Ich habe mich mehr auf die praxisnahen Testberichte verlassen und dieses Objektiv gekauft. Und: Ja, es ist erstaunlich scharf, und ja, es hat eine ausgeprägte Randunschärfe im unteren Brennweitenbereich. Wie passt das zusammen? Die Antwort lieferte ein einfacher Versuch mit Aufnahmen in verschiedenen Entfernungen und mit verschiedenen Brennweiten. Siehe da: Die Randunschärfe verschwand mit zunehmendem Motivabstand immer mehr und spielte schon ab ungefähr 10m keine große Rolle mehr. Offenbar leidet die Abbildungsleistung im Nahbereich, aber da setzt man ein Tele auch eher selten ein.

 

Die Ergebnisse solcher Auflösungsmessungen resultieren aus Aufnahmen mit Testcharts, die aus relativ kurzer Distanz aufgenommen werden, damit sie bildfüllend erscheinen. Die in der Praxis wichtigere mittlere und weitere Distanz wird dagegen nicht berücksichtigt und so können, je nach Konstruktion des Objektivs, unter Umständen irreführende Ergebnisse zustande kommen. Objektive danach zu vergleichen und zu beurteilen ist nicht unbedingt zuverlässig. Das ist so, als würde man das Fahrverhalten eines Autos bewerten, indem man im ersten Gang über den Hof des Händlers fährt. Ich empfehle daher, solche Tests nicht als alleiniges Auswahlkriterium zu heran zu ziehen, sondern Berichte von Testern und Profifotografen, die nicht von einem Hersteller gesponsert werden und "in freier Wildbahn" testen, anzusehen. Und natürlich den Selbstversuch beim Händler zu machen, bei dem man vielleicht auch mehrere Objektive direkt vergleichen kann.

Ein weiteres Beispiel dafür mag das EF-S 18-55mm sein, das in verschiedenen Varianten gerne als Kit-Objektiv mit Einsteigerkameras verkauft wird. In einigen Tests kommt es aufgrund der Messergebnisse ziemlich schlecht weg, und doch sind die meisten Nutzer damit sehr zufrieden. In der Praxis erfüllt es also seinen Zweck.

 

Noch ein Tipp: Worin sich Objektive häufig unterscheiden und was selten in Testberichten erwähnt wird, ist das Verhalten bei starkem Seitenlicht oder bei Gegenlicht. Die einen bilden das Motiv scharfund klar  ab, andere lassen es in einem leichten Nebel verschwimmen. Einige Fotografen hassen Lens Flares (Sonnensterne), andere lieben sie als gestalterisches Mittel. Das muss man einfach ausprobieren, messtechnisch ist es kaum zu erfassen. In den meisten Testberichten kommt dieser Aspekt folglich auch nicht vor.

 

Ein anderes Beispiel sind Kamera-Akkus. Original-Akkus vom Kamera-Hersteller sind meistens sehr teuer (viel zu teuer!) und so ist die Versuchung groß, einen wesentlich günstigeren Nachbau-Akku als Ersatz oder Reserve zu beschaffen. Auch dazu gibt es von Zeit zu Zeit Testberichte. Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Qualität ist natürlich die Kapazität der Zellen. Je höher diese ist, desto länger hält die Energiequelle in der Kamera durch. in seriösen Tests wird die Kapazität durch eine kontrollierte Entladung ermittelt. Die Tests sind damit reproduzierbar und die Ergebnisse vergleichbar. Das große Aber dabei: Dverbauten Überwachungschips können minderwertig oder falsch kalibriert sein. Wenn die im Akku-Pack integrierte Schutzelektronik der Kamera zu früh eine vollständige Entladung signalisiert, schaltet diese vorzeitig ab. Der Test ermittelt zwar die echte Kapazität, sagt aber nicht unbedingt etwas über die praktische Nutzungsdauer aus. Im Extremfall kann so ein Akku der Kamera mitteilen "ich bin leer", obwohl er tatsächlich erst halb entladen ist und der Fotograf wundert sich. Solche Verhaltensweisen findet man erst in der Praxis heraus. Nicht alle Tests berücksichtigen das. In einem Fall, den ich selber erlebt habe, wurde einem solchen Nachbau-Akku in Tests wenigstens 70% der Kapazität des Originals bescheinigt. Die Nutzunmgsdauer der Kamera reduzierte sich jedoch auf etwa 35%, ein solcher Akku ist unbrauchbar.

 

Fazit: Testberichte können bei der Auswahl hilfreich sein und auf mögliche Pluspunkte und Schwachstellen hinweisen. Sie können aber auch praxisfern sein und zu falschen Schlüssen verleiten. Wir sollten uns daher immer fragen "Was ist für mich relevant?" und diese Punkte selber überprüfen.